Der Kreisvorstand der SPD-Reinickendorf hat in der heutigen Sitzung folgenden Antrag angenommen:

Der Kreisvorstand der SPD Reinickendorf möge beschließen:

Die SPD Reinickendorf unterstützt die Entscheidung des Landesvorstandes der SPD Berlin, Koalitionsverhandlungen mit der CDU aufzunehmen. [Wir fordern den geschäftsführenden Kreisvorstand auf, im April ein Kreisforum zur Debatte über den Koalitionsvertrag zu veranstalten.]

Begründung:

Das Wahlergebnis der Wiederholungswahl vom 12. Februar 2023 ist für die Berliner SPD ein bitterer Einschnitt – wir sind deutlich nicht mehr die stärkste Partei: Die SPD ist rund zehn Prozentpunkte hinter der CDU nur noch auf Platz zwei gelandet. Der Vorsprung vor den Grünen beträgt wenige Stimmen. Die Arbeit der RGR-Koalition wurde von den Wählerinnen und Wählern nicht gewürdigt. Mehr noch: der These, die SPD würde sich neue Wählerschichten durch ein dediziert links ausgerichtetes Regierungsprojekt erschließen, hat sich nicht im Ansatz bewahrheitet. In der Zange zwischen linken Koalitionspartnern und ihrer an innentstädtischer Klientel ausgerichteter Politik und klassischen Wählerschichten, die im Wesentlichen in den Außenbezirken leben, verlor die SPD als regierende Partei ihre klaren Botschaften, getrieben von Grünen, die den Führungsanspruch nicht wirklich akzeptiert haben. Wie die SPD in dieser Konstellation keinen Platz fand, wurde im Wahlkampf umso deutlicher, der zugespitzt nur noch die Polarität zwischen „Klimaschutz und Mobilität“ einerseits und „Politik für das Auto und Law and Order“ andererseits kannte. CDU und Grüne konnten mit der Strategie der Polarisierung erfolgreich Wählerinnen und Wähler mobilisieren, wenn es auch nicht im Interesse des politischen Klimas in der Stadt war und nicht dem sozialen Zusammenhalt gedient hat. In der Wählerwanderung bildet sich ab, dass 53.000 Wählerinnen und Wähler der SPD aus 2021 die CDU gewählt haben und dass 57.000 Personen aus unserer Wählerschaft erst gar nicht zur Wahl gegangen sind.

Hinzu kommt aus Sicht der SPD Reinickendorf: Konnte die Wahl 2021 noch durch eine Fokussierung auf die Außenbezirke gewonnen werden, war die Enttäuschung hier jetzt entscheidend für das schlechte Abschneiden der SPD – obwohl die Ergebnisse der SPD hier noch immer über dem berlinweiten Ergebnis lagen. Aus Sicht eines Außenbezirks wie Reinickendorf liegt in der mangelnden Berücksichtigung der Interessen von Bürgerinnen und Bürger außerhalb des S-Bahn-Rings und einer zu starken Priorisierung von Themen, die vor allem im S-Bahn-Ring mobilisieren ein entscheidender Faktor für das Wahlergebnis. Die Entscheidung des Senats, entgegen den vorsichtigen Andeutungen im Wahlkampf 2021, die U8 nach 50 Jahren endlich ins Märkische Viertel zu verlängern bzw. die Planungen dafür zu starten, stattdessen den ohnehin gut angebundenen BER mit einer Verlängerung der U7 anzubinden, stieß ebenfalls auf Unverständnis in Reinickendorf. Auch der oftmals jahrelang bestehende schlechte Zustand der Straßeninfrastruktur in Reinickendorf, verbunden mit der „Pro-Auto-Einstellung in Reinickendorf“, ließ die SPD hier ins Hintertreffen geraten.

So muss die SPD in Berlin nun aus verschiedenen schlechten Optionen die beste wählen. Die beste Option ist dabei diejenige, aus der die SPD heraus am besten weiterhin Berlin gestalten kann. Wir unterstützen deshalb die Entscheidung des Landesvorstands der SPD Berlin, Koalitionsverhandlungen mit der CDU aufzunehmen.

Die SPD Berlin wurde bei den Wahlen 2021 mit dem pragmatischen Kurs von Franziska Giffey und Raed Saleh und mit Rückenwind der Bundestagswahl zwar knapp, aber immerhin stärkste Kraft im Land Berlin.  Gleichwohl blieb das damalige Ergebnis bereits hinter den Erwartungen zurück.  In der krisengeprägten Zeit seit Herbst 2021, hatte die Koalition und die Regierende Bürgermeisterin wenig Gelegenheit zur nachhaltigen positiven Profilierung. Mit der durch die Vorgängerregierung verschuldeten Wiederholungswahl und dem “lässigen” Umgang mit den Pannen bei der Wahl 2021 war wieder einmal für die Berlinerinnen und Berliner offensichtlich, dass die Stadt Berlin nicht gut organisiert ist.  Zumal die SPD und ihre Spitzen keine personellen Konsequenzen zogen, die aus Sicht vieler Berlinerinnen und Berliner spätestens nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofes erwartet wurden. Damit hatte die CDU Berlin ein leichtes Spiel, den Frust über die vielen Unzulänglichkeiten im Management der Stadt zu nutzen und auch den aktuellen Senat in Mithaftung zu nehmen für die Pannen der Wahl 2021.

Trotzdem sind wir weiterhin davon überzeugt: Damit sich Berlin auch künftig erfolgreich entwickeln kann, braucht es eine Kraft, die neben guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen das Soziale und die ganze Stadt im Blick hat. Und in den sehr unterschiedlichen Ergebnissen in der Innenstadt und in den Außenbezirken zeigt sich, dass eine verbindende und ausgleichende Kraft dringend benötigt wird. Diese politische Kraft muss die SPD sein.

Das Wahl­ergebnis hat uns deutlich gezeigt, dass es ein einfaches „Weiter so“ nicht geben kann. Die Berliner­innen und Berliner haben deutlich gemacht, dass sie besonders in den Bereichen Bildung, Sauberkeit, Sicherheit, Verkehr, Qualität der Verwaltung und Wohnungs­bau nicht zufrieden mit der Regierungs­arbeit der letzten Jahre sind. Die Errungenschaften der SPD, wie die kostenfreie Schulverpflegung, Schülerticket und 9-EUR-Ticket, wurden zwar anerkannt, aber “eingebucht” und haben sich nicht im Wahlergebnis niedergeschlagen. Deshalb müssen wir hier zu deut­lichen Ver­besserungen und zu Veränderungen kommen und die Positionen der SPD auch klar vertreten.

Wir sind unseren Wählerinnen und Wählern verpflichtet, so viel sozialdemokratische Politik wie möglich im Berliner Senat durchzusetzen. Diese Haltung sollte der rote Faden für die Verhandlungen sein. Das Sondierungspapier vom 9. März 2023 ist ein erster positiver Hinweis darauf, dass dies in einem schwarz-roten Bündnis gelingen kann. Ein Gang in die Opposition wäre zumal mit großen Risiken verbunden. Ob es der SPD Berlin gelingen würde, in der Opposition zu „gesunden“ – wie vielfach gefordert – ist mehr als ungewiss. Die Beispiele anderer Bundesländer zeigen eher, dass schwarz-grüne Bündnisse deutlich länger bleiben, als wir es uns erhoffen.

Eine linke parlamentarische Mehrheit nicht zu nutzen, muss gut begründet sein. Das Ergebnis der Sondierungen mit Grünen und Linken war laut der Sondierungskommission von der gemeinsamen Einschätzung getragen, dass Rot-Grün-Rot in Berlin derzeit kein gemeinsames dauerhaftes und belastbares Projekt mehr darstellt, das mit hinreichender Sicherheit bis 2026 trägt. Darüber hinaus bestanden erhebliche Zweifel an der Umsetzungsbereitschaft derzeitiger und zukünftiger Koalitionsverabredungen. In nahezu allen politischen Teilbereichen hatten besonders die Grünen bestehende Verabredungen in Frage gestellt.

Die niedrigen und weiter sinkenden Zustimmungswerte für die Arbeit der seit 2016 bestehenden Koalition legen zudem nahe, dass es für die Berliner SPD in der aktuellen Konstellation unter Rot-Grün-Rot schwer würde, einen dringend nötigen echten Neuanfang zu vermitteln, der Voraussetzung für eine Trendumkehr mit Blick auf die Zustimmungswerte wäre. Daher ist die Absage an Rot-Grün-Rot für die SPD Reinickendorf folgerichtig.

Aus Sicht der SPD Reinickendorf kommt es nun auf die Rückgewinnung der Außenbezirke an, um bei der nächsten Wahl zu gewinnen. Denn: Ohne die Außenbezirke verliert die SPD mehr, als sie mit den Innenstadtbezirken holen kann.

Deshalb muss sich die SPD in der Regierung und innerparteilich insgesamt auf einen handlungsorientierten Politikansatz konzentrieren, der insbesondere von den Menschen in den Außenbezirken geschätzt wird. Dazu gehört auch, dass die Neuaufstellung der Berliner Verwaltung Vorrang vor anderen Politikfeldern hat. Überhaupt hat die SPD zu wenig administrative Umsetzung ihrer Politik geachtet. Schlechte Verwaltungsstrukturen machen gute Politik zunichte. Auch die eine oder andere Personalentscheidung kann hinterfragt werden.

Die Aufgabe des Roten Rathauses ist schmerzlich. Wir respektieren und begrüßen es ausdrücklich, dass der Landesvorstand der SPD Berlin in dieser schwierigen Situation für die Partei entschieden hat, alle Mitglieder in einem Mitgliederentscheid über den verhandelten Koalitionsvertrag mit der CDU abstimmen zu lassen.

Die Berlinerinnen und Berliner haben eine Koalition verdient, die nach vorne schaut und die Stadt pragmatisch, sozial und nachhaltig regiert. Wir brauchen eine stabile und verlässliche Regierung, damit Berlin für alle funktioniert. Deshalb unterstützt die SPD Reinickendorf die Entscheidung, Koalitionsverhandlungen mit der CDU zu führen und anhand der verhandelten Inhalte über den Eintritt in eine Koalition zu entscheiden.